Spaltzentrum
Behandlungskonzept
Die Behandlung erfolgt durch ein erfahrenes, aus mehreren Fachdisziplinen zusammengesetztes Team. Sie beginnt direkt nach der Geburt und endet erst im Erwachsenenalter. Die einzelnen Behandlungsschritte werden aufeinander abgestimmt und folgen einem individuell geplanten Ablauf.
Normales Sprechen und voraussetzend dafür gutes Hören sind die wichtigsten Behandlungsziele. Die Wiederherstellung und Optimierung physiologischer orofazialer Funktionen ist die Basis für das Erreichen einer ansprechenden Ästhetik und einer guten Kaufunktion.
In den ersten Tagen nach der Geburt steht die Annahme des Kindes durch seine Familie im Mittelpunkt. Zudem muss die Ernährung des Säuglings sichergestellt werden.
Die Anpassung einer Gaumenplatte möglichst früh nach der Geburt bewirkt eine Verbesserung der Nahrungsaufnahme und eine physiologische Trennung von Mund und Nase. Sie ist gleichzeitig eine kieferorthopädische Frühmaßnahme zur Einstellung der Kiefersegmente und unterstützt die normale Lage und Funktion der Zunge.
Die Logopädin/Castillo-Morales-Therapeutin beurteilt die Zungenfunktion und das Schluckmuster und setzt bei Bedarf eine Therapie an.
Zum Ausschluss von möglichen Begleiterkrankungen werden in der Pädiatrie weitere Untersuchungen z.B. der inneren Organe durchgeführt.
Die Überprüfung des Hörvermögens und der Belüftung des Mittelohres findet in der Pädaudiologie statt.
Die Stillberatung sowie die Betreuung durch ggf. andere betroffene Eltern unterstützen die Familie bei der Pflege des betroffenen Kindes.
Operative Behandlungsschritte
Die operative Versorgung kann nach dem 3. Monat starten (Zehnerregel: 10 Wochen alt, 10 Pfund schwer, 10 mg% Hämoglobin im Blut).
- Bei breiten durchgehenden Spalten mit Lippenspalte wird in einer ersten Operation der Nasenboden gebildet und der Lippenringmuskel wiederhergestellt (Lippenmuskelplastik/Lippadhäsion).
Der harte und weiche Gaumen wird in der Regel gleichzeitig verschlossen, wenn beim harten Gaumen nicht zu viel Gewebe verschoben werden muss.
Die 1. Operation sollte im 4. bis 6. Lebensmonat erfolgen, damit das Gaumensegel heilen kann und frühzeitig funktionsfähig wird. Dies ist Voraussetzung für altersgerechte Sprechentwicklung und unauffälligen Stimmklang.
Auch der Verschluss der Kieferspalte mit Schleimhaut und Knochenhaut (Gingivoperiostplastik) und die richtige Positionierung des Nasenflügels sollen wenn möglich in der ersten Operation realisiert werden. - Der endgültige Lippenverschluss findet in einer 2. Operation ca. 2 bis 3 Monate später statt. In dieser Sitzung werden auch eventuell aufgetretene Restlöcher im Gaumen oder an der Kieferspalte verschlossen und der Nasenflügel in seiner Position optimiert.
Korrekturoperationen an Lippe und Nase werden vor dem Kindergarten, vor Einschulung oder bei Bedarf erwogen und geplant.
Der Verschluss des Kieferspaltes mit Knocheneinlage (Kieferspaltosteoplastik mit Beckenkammtransplantat) findet ab dem 7. Lebensjahr nach Durchbruch der bleibenden Schneidezähne, spätestens vor dem Durchbruch der bleibenden Eckzähne statt. Das ist allerdings nur notwendig, falls sich nach der oben genannten Gingivoperiostplastik nicht genügend Knochen spontan gebildet hat. Es gelingt in vielen Fällen, die Beckenknochenverpflanzung durch die frühe Vereinigung der Knochenhaut zu vermeiden.
Der Korrektureingriff am Nasenknorpel (Septorhinoplastik), ggf. die Umstellung der Kiefersegmente bei Fehlbiss und ggf. ein dentales Implantat bei Zahnlücke finden erst nach Abschluss des Wachstums (etwa 16. bzw. 18. Lebensjahr) statt.
Intervallbehandlung
Die Kinder werden regelmäßig in der Spaltsprechstunde vorgestellt.
Hier finden die Kontrolluntersuchungen durch den Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen, die Pädaudiologin sowie die Beurteilung der Nahrungsaufnahme, der orofazialen Muskulatur, des Stimmklangs, der Sprech- und Sprachentwicklung durch die Logopädin statt.
Die weitere Behandlung erfolgt in Kooperation mit den niedergelassenen Kinderärzten, HNO-Ärzten und Kieferorthopäden.
Logopädie
Orofaziale funktionelle Therapie (u.a. nach Castillo Morales) zur Kräftigung der Mund-, Lippen- und Kaumuskulatur, Verbesserung der Zungenlage und -funktion, besonders aber zur Behandlung früher Fehlfunktionen (Zunge, Schluckmuster), Trinktraining, Unterstützung beim Stillen bzw. beim Füttern mit adäquatem Saugermaterial.
Unterstützung der Eltern und Unterweisung zur Förderung ihrer Kinder.
Ausführliche logopädische Evaluation und Beratung der Eltern zur Unterstützung des Spracherwerbs und physiologischer orofazialer Funktionen.
Falls erforderlich Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie.
Kieferorthopädie
Behandlung bei Kreuzbissen, besonders bei Zwangsbissen.
Ggf. Oberkieferweiterung und -entwicklung.
Vorbereitung der Kieferspaltosteoplastik mit Einstellung einzelner Zähne im Spaltbereich, ggf. Oberkiefererweiterung und -entwicklung.
Feineinstellung der Einzelzähne, Korrektur der Segmente oder Begleitung MKG-chirurgischer Verfahren wie Distraktion oder Osteotomien.
Phoniatrie/Pädaudiologie
Erstuntersuchung, Hörtest.
Regelmäßige Kontrolle der Hörfunktion, ggf. während der Operationen Paukenröhrcheneinlage.
Ernährung und Pflege
Obwohl die Ernährung eines Säuglings mit einer Spaltfehlbildung schwierig sein kann, ist es nicht notwendig, eine Magensonde zu legen. Unser Anliegen ist es, auch während der Ernährungssituation die Mutter/Vater-Kind-Bindung positiv zu unterstützen.
Wenn nur eine Lippenspalte oder Lippen-Kieferspalte vorliegt, steht dem natürlichen Stillen meistens nichts im Wege.
Bei Gaumenbeteiligung ist es aufgrund der besonderen Anatomie den Säuglingen kaum oder nicht möglich, einen Unterdruck zu erzeugen, der für ein Saugen an Brust und/oder Sauger Voraussetzung ist.
Manchmal gelingt es je nach Spaltform dennoch, unter Zuhilfenahme unserer therapeutischen Unterstützung eine Brusternährung teilweise oder vollständig zu ermöglichen. In Ergänzung dazu beraten wir Sie gerne ausführlich bezüglich funktionell günstigen Saugermaterials und unterstützen Sie darin, erfolgreiche Malzeiten mit Ihrem Baby zu erreichen.
Wichtig ist es hierbei, die vom Kind mitgebrachten Fähigkeiten und Kompetenzen zu nutzen und auszubauen sowie seine Funktion im orofazialen Bereich zu stärken.
Seit September 2016 ist Marianne Müller als LKGS-Pflegeexpertin im Einsatz. Sie ist ein Bindeglied zwischen Station und Ambulanz und optimiert die damit verbundenen Abläufe. Die Eltern lernen sie bereits beim Erstkontakt mit uns kennen und gewinnen durch ihre kontinuierliche Betreuung im Verlauf der Behandlung Vertrauen und Sicherheit. Hier können sich die Eltern wertvolle Tipps und Unterstützung zur Pflege ihres Kindes holen.
Soziale Hilfen
In der ersten Zeit sind die Eltern sehr auf die Hilfe aus ihrem Umfeld angewiesen.
Aber auch die Hilfestellung durch öffentliche Institutionen (Sozialamt, Versorgungsamt) und Krankenkassen (Haushaltshilfe, Pflegegeld) bringen Erleichterung.
Beim zuständigen Versorgungsamt kann die Ausstellung eines Behindertenausweises für das Kind beantragt werden. Dieser bietet den Eltern gesellschaftliche und finanzielle Vorteile.
Wichtige Partner auf dem Weg sind auch die Selbsthilfevereinigung für Lippen-Gaumen-Fehlbildungen und die Elterninitiative vor Ort.
Die Selbsthilfevereinigung sendet auf Anfrage nützliche Informationsbroschüren zum Krankheitsbild, den Folgen und der Behandlung zu, bietet Hilfe, Unterstützung, Beratung und Betreuung im medizinischen und psychosozialen Bereich an und vermittelt Kontakte zu anderen Eltern und Betroffenen.