Klinik für Kinderchirurgie und Kinderurologie
Hämangiome (Blutschwämmchen)
Die Bezeichnung Hämangiom („Blutschwamm“) wird undifferenziert für ganz verschiedene Gefäßfehlbildungen mit unterschiedlichen biologischen und pathologischen Merkmalen verwendet.
Infantile Hämangiome sind wachsende vaskuläre Tumore. Sie müssen einerseits von anderen Gefäßtumoren, wie den Hämangioendotheliomen, andererseits von arteriellen, venösen, lymphatischen oder kombinierten Fehlbildungen/Malformationen des Gefäßsystems abgegrenzt werden. Im Hinblick auf die Entscheidung für ein aktives oder abwartendes Vorgehen ist eine frühzeitige Unterscheidung erforderlich.
Infantile Hämangiome finden sich bei 8 bis 12 Prozent aller Säuglinge und bei bis zu 22 Prozent der Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1 kg. Das weibliche Geschlecht ist bevorzugt betroffen.
Hämangiome treten typischerweise in den ersten Tagen oder Wochen nach der Geburt auf. Es gibt Vorläuferläsionen wie umschriebene Teleangiektasien (roter Punkt), anämische, rötliche oder bläuliche Makulae (Flecke) oder Naevus flammeus-artige Veränderungen. Das Hämangiom durchläuft in der Folge drei Phasen: eine Wachstums-, Stillstands- und Rückbildungsphase.
Während der Wachstumsphase (6-9 Monate, selten länger) wächst das Hämangiom unterschiedlich rasch mit Flächenausbreitung oder subkutanem Wachstum (Verdickung unter der Haut), häufig auch in Kombination. Es folgt eine unterschiedlich lange Phase des Wachstumsstillstands, der sich regelhaft die Rückbildungsphase anschließt. Diese verläuft je nach Größe und Lokalisation unterschiedlich schnell und ist meistens bis zum 9. Lebensjahr abgeschlossen (siehe Grafik Hämangiomstadien). Insgesamt ist der Verlauf des Wachstums, als auch der Rückbildung sehr individuell und kann nicht sicher vorausgesagt werden.
Kleine Hämangiome bilden sich zumeist vollständig zurück. Bei größeren Hämangiomen bleiben häufig Teleangiektasien, Areale atrophischer Haut, Narben, Hyper- oder Hypopigmentierungen. Diese Residuen sind umso ausgeprägter, je größer das Hämangiom vor dem Eintritt in die Stillstands- und Regressionsphase war.
Hämangiome sind überwiegend lokalisiert, scharf begrenzt und gehen von einem meist zentralen Fokus aus. Unterschieden werden bei den lokalisierten Formen die kutanen Hämangiome, die flach (im Hautniveau) oder erhaben sein können, und die subkutan gelegenen Hämangiome sowie kombinierte Formen. 60 Prozent der Hämangiome finden sich an Kopf und Hals.
Seltener als lokalisierte Hämangiome sind die segmentalen Hämangiome, die am Kopf einem Entwicklungssegment zuzuordnen sind und im Einzelfall im Rahmen eines Syndroms auftreten können. Nicht alle Hämangiome können diesen zwei Hauptgruppen zugeordnet werden. Als eine weitere Sonderformen sind die Hämangiomatosen > 10 kutane Hämangiome mit oder ohne Beteiligung von Organen im Bauch oder dem Gehirn zu sehen.
Bei nicht rasch progredienten (wachsenden), wenig ausgedehnten infantilen Hämangiomen, insbesondere bei Stamm- und Extremitätenlokalisation, ist in der Regel nicht mit Komplikationen zu rechnen. Schnell und diffus wachsende Hämangiome können in allen Lokalisationen Ulzerationen mit dem Risiko von Superinfektion, Blutung und Schmerzen bedingen und zu funktionellen Einschränkungen führen. Die Proliferation kann sehr rasch sein.
Lid-, peri- oder intraorbitale Hämangiome können die Augenöffnung behindern, zu irreversibler Amblyopie führen und durch Bulbuskompression Anisometropie und Astigmatismus hervorrufen.
Periorale Lokalisation kann zu Behinderung bei der Nahrungsaufnahme, zu dauerhaften Deformierungen der Lippen sowie im Extremfall zu Unterkiefer- und Zahnstellungsanomalien führen. Ähnliches gilt für die Nase mit der Konsequenz von Nasendeformitäten oder Verlegung der Nasenatmung. An den Ohren führen stark vaskularisierte Hämangiome nicht selten zu Hypertrophie des Ohrwachstums und Knorpeldeformierungen. Hämangiome in diesen drei Lokalisationen (Lippe, Nase, Ohr) führen am häufigsten aufgrund von Residuen zu sekundären chirurgischen Maßnahmen.
Bei perioraler Lokalisation segmentaler Hämangiome und bei Mitbeteiligung der Mund-/Rachenschleimhaut oder der prätrachealen Haut muss auch ohne entsprechende Symptomatik an eine Beteiligung der Luftröhre gedacht werden.
Im Anogenitalbereich lokalisierte Hämangiome besitzen ein hohes Risiko der Ulzeration und rufen häufiger Komplikationen wie Blutungen, Infektionen, Schmerzen und Dermatitiden hervor.
Sehr große und ausgedehnte Hämangiome können zu kardialer Belastung, Kreislauf-, Blutungs- und Infektionskomplikationen führen. Eine Verbrauchskoagulopathie (Kasabach-Merritt-Phänomen) tritt dagegen auch bei ausgedehnten, komplizierten Hämangiomen nicht auf. Eine Sonderstellung nimmt die systemische Hämangiomatose ein. Die häufigere „benigne“ Hämangiomatose ohne Organbeteiligung, bei der multiple kutane Hämangiome innerhalb weniger Tage aufschießen und schnell zum Wachstumsstillstand kommen, ist zu unterscheiden von der seltenen diffusen Hämangiomatose mit Beteiligung des Gastrointestinaltraktes, der Leber, der Lunge und des Gehirns sowie kardiovaskulärer Relevanz.
Die Diagnostik erfordert die Klärung von zwei Hauptfragen:
- Liegt ein Hämangiom, ein anderer vaskulärer Tumor oder eine vaskuläre Malformation vor?
- Falls ein Hämangiom vorliegt: In welcher Phase befindet es sich?
Das wichtigste diagnostische Instrument ist die Anamnese. War das Hämangiom schon bei Geburt vorhanden oder ist es erst später aufgetreten?
Bei Hämangiomen, die an der Haut nicht sichtbar, sondern lediglich eine Schwellung zu sehen ist, ist eine Ultraschalluntersuchung erforderlich.
Bei sonographisch (Ultraschalluntersuchung) nicht eindeutigem Befund, zur Abgrenzung anderer vaskulärer Tumore und Malformationen und bei Verdacht auf Organ-, Augen- oder ZNS Beteiligung muss eine Kernspintomographie durchgeführt werden.
Bei segmentalen Hämangiomen der unteren Gesichtshälfte und Hinweisen auf Mitbeteiligung der Atemwege in Sonographie und MRT kann bei klinischer Symptomatik eine Bronchoskopie notwendig sein, hier muss die Möglichkeit der therapeutischen Intervention (Laser) in gleicher Narkose bestehen.
Eine histologische Sicherung der Diagnose infantiles Hämangiom ist bei klarer klinischer Diagnose nicht erforderlich. Unter Umständen kann sie bei rein subkutanen Hämangiomen notwendig sein, wenn die Bildgebung nicht eindeutig ist.
Die Indikation zum aktiven therapeutischem Vorgehen muss individuell gestellt werden. Therapieziele sind:
- der Wachstumstopp des Hämangioms,
- die beschleunigte Rückbildung bei großen Hämangiomen und/oder
- die Verhinderung oder Beseitigung funktioneller und ästhetischer Probleme (z.B. Auge).
Bei unkomplizierten Hämangiomen in unproblematischer Lokalisation (Stamm, Extremitäten) ist in der Regel keine Therapie erforderlich.
Hämangiome in Problemzonen (Gesicht, Anogenitalregion), sollten behandelt werden, um Komplikationen vorzubeugen. Dies gilt regelhaft für Hämangiome im Augenbereich (drohende Sichtbehinderung), Lippenbereich (geringe Rückbildungstendenz) und Nasenbereich (Nasendeformitäten – „Cyrano-Nase“).
Häufig diskutiert wird die frühe Therapie im Brust- und Decolté-Bereich beim weiblichen Geschlecht. Bei Hämangiomen in der Stillstands- oder Regressionsphase ist in der Regel eine abwartende Haltung zu empfehlen. Wenn jedoch Komplikationen durch Ulzerationen zu befürchten sind, ist auch bei diesen Formen eine systemische Therapie mit Propranolol sinnvoll.
Therapie-Nebenwirkungen auf den Brustdrüsenkörper, welche die Risiken des Abwartens übersteigen.
Bei Hämangiomen in der Stillstands- oder Regressionsphase ist in der Regel eine abwartende Haltung zu empfehlen. Wenn jedoch Komplikationen durch Ulzerationen zu befürchten sind, ist auch bei diesen Formen eine Therapie sinnvoll.
Durch die Kryotherapie (Kältetherapie) wird das Hämangiom zur Rückbildung angeregt, indem man einen „Kältestab“ bei -34 Celsius auf das Hämangiom für 9 Sekunden aufsetzt. Infolge dessen kann es zu einer lokalen Blasenbildung mit Wundschorf kommen. Geeignet für diese Therapie sind insbesondere plane (flache) aber auch geringfügig tuberöse Hämangiome.
Der Vorteil der Kryotheapie ist die relative Schmerzlosigkeit gegenüber dem Farbstofflaser. Der Nachteil ist, das nur kleine Flächen mit der Kryotherapie behandelt werden können. Narben treten in der Regel nicht auf. Die Therapieerfolge sind dem Farbstofflaser ebenbürtig
Der Einsatz der Farbstofflasertherapie ist in der Regel bei planen Läsionen indiziert. Je nach Ausdehnung des Befundes und Dauer des Eingriffs empfiehlt sich eine Oberflächenanästhesie (z.B. EMLA Creme). Nebenwirkungen sind sehr selten. Die obligate Blauschwarzverfärbung durch Koagulation von Blutgefäßen verschwindet innerhalb von 14 Tagen, Narben treten in weniger als 1 Prozent der Fälle auf. Insbesondere anogenital besteht die Gefahr der Ulzeration mit Superinfektion. Die Eltern sind bei der ambulanten Farbstofflasertherapie anwesend.
Der Nd:YAG-Laser mit größerer Eindringtiefe ist perkutan unter Eiskühlung und in Sonderfällen über Glasfasern einsetzbar. Hierzu ist eine Allgemeinnarkose erforderlich. Ziel der Behandlung ist die Reduktion des Volumens sehr großer Hämangiome.
Die Operation ist mit wenigen Ausnahmen keine primäre Therapie. Die Exzision stellt zwar häufig eine definitive Behandlungsoption eines Hämangioms dar, kommt jedoch durch die hohe Spontanregressionsrate und die Erfolge der frühzeitigen Lasertherapie nur noch in Einzelfällen in Betracht. Sie ist indiziert, wenn Komplikationen drohen, die durch konservative Verfahren nicht zu beherrschen sind, bei akut drohendem Funktionsverlust (Auge), sofern technisch möglich, bei residuellen Hämangiomen und wenn die obligate Narbe keine ästhetische oder funktionelle Beeinträchtigung darstellen wird. Am behaarten Kopf ist eine Operation sinnvoll, wenn nach Abschluss der Regressionsphase kahle Stellen verbleiben oder sich ein erheblicher Gewebsüberschuss zeigt.
Bei großen, rasch proliferierenden und/oder komplizierten Hämangiomen, bei diffus wachsenden Hämangiomen im Gesicht oder der diffusen Hämangiomatose sind bei fehlenden therapeutischen Alternativen (Laser, OP), ggf. auch additiv systemische Therapiemaßnahmen indiziert. Bewährt hat sich der Einsatz von Kortikosteroiden, deren Einsatz dann in Zusammenarbeit mit der Pädiatrischen Klinik im Hause erfolgt.
Als sehr viel besser verträglich gilt heute die Behandlung mit Propranolol.
Seit 2008 werden in der Kinderchirurgischen Klinik spezielle Hämangiome mit einem Beta Blocker (Propranolol) behandelt. Hierbei handelt es sich um eine Therapie die auf eine zufällige Beobachtung einer französischen Kinderärztin beruht. Sie beobachtete den Rückgang eines sehr großen Hämangiom nach dem Therapiebeginn mit Propranolol, das dem Kind wegen einer Herzerkrankung gegeben wurde. Seitdem hat Propranolol einen wichtigen Stellenwert in der Behandlung spezieller Hämangiome eingenommen, die ehemals nur der weitaus nebenwirkungsreicheren Therapie mit Cortison zugänglich waren. Die bisherige Erfahrung mit dem Medikament, welches noch nicht offiziell zugelassen ist für die Behandlung der Hämagiome, ist durchweg positiv.
Der Therapiebeginn mit Propranolol macht einen stationären Aufenthalt notwendig. Vor der Gabe mit Propranolol wird Blut abgenommen, ein EKG, eine Ultraschalluntersuchung vom Herzen, eine Sonographie vom Bauch und eine Sonographie vom Kopf durchgeführt. Dann wird das Medikament in zunächst niedriger Dosierung gegeben, die dann während des stationären Aufenthaltes gesteigert wird. Zwischenzeitlich erfolgt dann die Kontrolle des Blutdruckes und einiger Blutwerte. Nach 2 Nächten wird dann der Patient entlassen nach einem EKG entlassen. Zwei Wochen nach der Entlassung wird eine EKG Kontrolle durchgeführt. Danach sind regelmäßige Kontrollen in unserer Sprechstunde notwendig. Die Medikation wird bis zum 12. Lebensmonat gegeben.
Je nach Lokalisation und Ausdehnung des Hämangioms können ohne und nach jeder Therapie funktionell und/oder ästhetisch unbefriedigende Restzustände verbleiben. Diese sind bis zum Eintritt des Kindes in die Schule zu beseitigen. Bei verbliebenen Teleangiektasien ist der Einsatz der Lasertherapie zweckmäßig, je nach Gefäßkaliber mit dem Farbstofflaser oder dem Nd:YAG-Laser. Hyperpigmentierungen sind nicht selten einer Behandlung mit den ultrakurzgepulsten Lasergeräten (Nd:YAG-Laser) zugänglich. Narben, ein Gewebsüberschuss und ähnliche Veränderungen werden exzidiert, sekundäre Gesichtsasymmetrien oder -deformitäten plastisch-chirurgisch korrigiert.
In der Kinderchirurgischen Klinik sind alle Möglichkeiten zur Behandlung von Hämangiomen vorhanden.
In der Regel wird Ihr Kind nach telefonischer Terminvereinbarung (0721 974-3110) in unserer Ambulanz vorstellig. Je nach Notwendigkeit wird dann die weitere Therapie mit Ihnen abgestimmt.
Bei spezieller Fragestellung wird Ihr Kind in unserer interdisziplinären Sprechstunde zusammen mit der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, der Hautklinik, der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und der Kinderchirurgischen Klinik behandelt.
Bei Fragen wenden Sie sich gerne an uns:
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