Eine Schwangerschaft dauert 40 Wochen. Diese Zeit benötigt das Baby, um sich zu entwickeln und problemlos ins Leben starten zu können. Kommt ein Kind mehr als drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt, spricht man von einer Frühgeburt. Dann fehlt den Organen die wichtige Entwicklungszeit: gerade Lunge, Verdauungstrakt und Gehirn können davon betroffen sein und sind noch anfällig für Störungen. Etwa 60.000 Frühgeburten gibt es jährlich in Deutschland, davon erblicken 600 Kinder im Städtischen Klinikum Karlsruhe erstmals das Licht der Welt. Bei der Versorgung von Mutter und Kind arbeiten die Frauenklinik und der Spezialbereich „Neonatologie“, übersetzt Neugeborenenmedizin, der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin eng zusammen.
„Unsere Klinik versorgt alle leicht- bis schwererkrankten Früh- und Neugeborenen und dazu halten wir als sogenanntes Level 1-Perinatalzentrum das höchste medizinische Versorgungsniveau vor“, sagt Klinikdirektor Prof. Dr. Joachim Kühr. „Besonders wichtig sind diese hohen Standards für die Behandlung von Frühgeborenen in jedem Schwangerschaftsalter und mit jedem Geburtsgewicht“.
Meist kündigt sich eine Frühgeburt z. B. durch einen vorzeitigen Blasensprung oder vorzeitige Wehen an. Die Frauen kommen dann sehr plötzlich in die Klinik und müssen unmittelbar behandelt werden. Prof. Andreas Müller, Direktor der Frauenklinik, nennt drei Risikofaktoren für eine Frühgeburt: „Operationen an der Gebärmutter, Infektionen oder Entzündungen, die Botenstoffe ausschütten und damit Wehen verursachen können, und Erkrankungen der Mutter, die uns dazu zwingen, die Geburt einzuleiten oder die Schwangerschaft per Kaiserschnitt zu beenden.“
Jeder Tag im Bauch zählt
Da jeder Tag im Mutterleib ein Zugewinn für die Entwicklung des ungeborenen Kindes ist, versuchen die Mediziner, die Schwangerschaft möglichst lange zu ermöglichen und zu verlängern. Dies lässt sich beispielsweise durch die konsequente Behandlung von Infektionen erreichen. Eine andere Möglichkeit ist ein operativer Eingriff, die Cerclage: ein vorübergehender Verschluss des Gebärmutterhalses.
Auch im Falle einer Frühgeburt wird der Kontakt zwischen Mutter und Kind möglichst sofort hergestellt und so eng wie möglich weitergestaltet. Nach der Erstversorgung im Kreißsaal wird das Baby im Wärmebett oder Inkubator, früher Brustkasten genannt, gepflegt. „Alles, was bei der Geburt und in den ersten Lebenstagen passiert, hat einen Einfluss auf das Gehirn des Kindes“, betont Kerstin Klein, Stationsleitung der Kinderintensivstation. „Die Augen werden z. B. vor Licht geschützt.“ Für den schonenden und schützenden Umgang mit dem Frühchen setzt das Team das Verfahren „Optimal Handling“ um. Hierbei bekommt das Kind viel Ruhe und unnötige Dinge werden vermieden.
Wichtiger Körperkontakt
Besonders wichtig ist in den ersten Tagen nach der Geburt die Atmung: Je unreifer das Frühgeborene ist, desto wahrscheinlicher benötigt es dabei Unterstützung durch Geräte. Zusätzlich bekommt das Kind eine Magensonde zur Ernährung und einen venösen Zugang für Flüssigkeitszufuhr und Medikamente. Ist das Kind nach der Erstversorgung stabil, wird es Mutter und Vater zum Känguruhen gegeben. „Das bedeutet, dass die Eltern das unbekleidete Kind auf die unbekleidete Brust gelegt bekommen, um durch den Hautkontakt ein gutes Bonding zu ermöglichen“, sagt Klein. Um auch für Frühgeborene einen normalen Kontakt zu den Eltern zu erreichen, werden diese so viel wie möglich einbezogen. Eine günstige Entwicklung des Bondings wird auch durch früh einsetzende und ausführliche Gespräche mit den Eltern angestrebt. „Wir nehmen ihre Sorgen ernst und versuchen sie bestmöglich auf die Geburt und die Zeit danach vorzubereiten“, betont Kühr. „Wir machen die Eltern z.B. mit allen Apparaturen vertraut und lassen sie mit einer Puppe Größe und Gewicht des Frühchens kennenlernen.“
In der Regel kann das Kind um den errechneten Geburtstermin herum nach Hause: Wenn es keine Atempausen mehr hat, seine Körpertemperatur selber halten kann, sich für Mahlzeiten selbst meldet und die Mahlzeiten selbst trinken kann. Aber auch für die Nachsorge sind die Experten im Klinikum Karlsruhe die richtigen Ansprechpartner. „Kinder, die sehr frühgeboren zur Welt kommen, finden hier spezielle Nachsorgeeinrichtungen wie das Sozialpädiatrische Zentrum SPZ“, hebt Kühr hervor. „Ein spezialisiertes Team stellt dort den individuellen Förderungsbedarf fest.“