Interviewpartner
- Prof. Dr. med. Martin Bentz, Direktor Medizinische Klinik III
- Dr. med. Paul Vöhringer, Leitender Oberarzt Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
- Elvira Schneider, Pflegedirektorin
Themenschwerpunkte
- Einschätzung zur Lage bundesweit
- Einschätzung zur Lage in der Region
- Aktuelle Situation im Klinikum Karlsruhe
- Situation in der Franz-Lust-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
- Immunstatus der Patient*innen
Einschätzung zur Lage bundesweit
Der seit Anfang Juli 2021 beobachtete Anstieg der 7-Tage-Inzidenz ist laut Robert-Koch-Institut innerhalb der letzten zwei Wochen zurückgegangen. Während in den östlichen Bundesländern die 7-Tage-Inzidenz demnach zum Teil deutlich angestiegen ist, ist in den westlichen Bundesländern ein deutlicher Rückgang zu beobachten. Die derzeitige Entwicklung könne auf einen Rückgang des Sommerreiseverkehrs, eine Abnahme der im Rahmen des Schulanfangs diagnostizierten Infektionen sowie auf die breite Einführung der 2G- bzw. 3G-Regeln zurückzuführen sein.
Bund und Länder sind sich einig, dass die Hospitalisierung von COVID19-Patienten als Indikator für schwere Krankheitsverläufe eine wichtige Größe zur Beurteilung des Infektionsgeschehens ist. Neuer Anknüpfungspunkt für Corona-Maßnahmen in Baden-Württemberg werden in diesem Zusammenhang die 7-Tage-Hospitaliserungsinzidenz (Warnstufe > 8/Alarmstufe > 12) und die absolute Zahl der Patienten auf den Intensivstationen (Warnstufe > 250 Patienten/Alarmstufe > 390 Patienten). Für den Zutritt von Besuchern zu Kliniken ergeben sich keine Änderungen. Maßgeblich bleibt hier die CoronaVO Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.
Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der nicht oder nur einmal geimpften Bevölkerung in Deutschland insgesamt weiterhin als hoch ein. Für vollständig Geimpfte wird die Gefährdung als moderat eingeschätzt Zum 16.9.2021 haben 67 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfung gegen COVID-19 bekommen. Knapp 63 Prozent wurden bereits vollständig gegen COVID-19 geimpft.
Einschätzung der Lage in der Region
Laut Verwaltungsstab der Stadt Karlsruhe sind derzeit fast 30 Prozent der positiv getesteten Menschen im Stadt- und Landkreis Reiserückkehrer. Es besteht die Hoffnung, dass sich dieser Anteil durch das Ende der Sommerferien reduziert, gleichzeitig rechnet der Verwaltungsstab mit steigenden Ansteckungen in Zusammenhang mit Schulen und Kitas.
Rund 80 Prozent aller Neuinfizierten in der Region sind laut Gesundheitsamt ungeimpft.
Tagesaktuell liegt der Inzidenzwert für Karlsruhe Stadt bei 73,9 und im Landkreis bei 108,5 (Corona-Portal Karlsruhe).
Aktuelle Situation im Städtischen Klinikum Karlsruhe
Die Einsatzleitung des Klinikums Karlsruhe hat sich bei ihrer Lageeinschätzung immer an verschiedenen Parametern orientiert. Hierzu zählen neben den lokalen, regionalen und bundesweiten Inzidenzwerten die Reproduktionsrate, die Auslastung der Corona-Stationen (Intensiv- und Normalstation), die Situation in Karlsruhe Stadt und der Region, die Situation in den Clustern sowie die Erkenntnisse aus den Prognosemodellen.
Parallel prüft die Einsatzleitung den für das Klinikum gültigen Pandemieplan ständig und passt ihn bei Bedarf an. Derzeit befindet sich das Klinikum in Pandemiestufe 2. Nach einer kurzen Phase, in der im Klinikum keine Corona-Patienten stationär versorgt wurden, steigen die Zahlen seit Mitte August wieder an.
Stand heute befinden sich 9 COVID-19-Patient*innen auf Normalstation. 6 Patient*innen müssen auf der Intensivstation behandelt werden, wovon 2 beatmet sind. Wir gehen davon aus, dass die Anzahl in den kommenden Tagen und Wochen weiter steigen wird.
Situation in der Franz-Lust-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
In der Franz-Lust-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin befinden sich derzeit 1 Patient*in mit einer SARS-CoV-2-Infektion in stationärer Behandlung. Für den Moment können wir in der Kinderklinik deshalb keinen signifikanten Anstieg der COVID-19-bedingten stationären Aufnahmen verzeichnen.
Mit Blick auf den Schulbeginn, die Reiserückkehrer, das nahende Herbstwetter sowie die höhere Infektiosität der Virusvariante ist von einer steigenden Anzahl von Corona-Infektionen bei Kinder- und Jugendlichen in den Herbst- und Wintermonaten auszugehen. Dies zeigen uns auch die Daten aus den USA und aus Großbritannien.
Es gibt seit Pandemiebeginn in der Kinderklinik einen klar festgelegten Plan, wie bei einer Häufung von COVID-19-Erkrakungen vorzugehen ist. Bei entsprechendem Bedarf werden die Bettenkapazitäten hierfür erweitert.
Als Folge einer COVID-Erkrankung kann sich ein PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) entwickeln. Die Schwere der primären COVID-Erkrankung ist dabei nicht ausschlaggebend. Ein PIMS kann sich selbst bei leichten oder unerkannten Krankheitsverläufen ergeben. Es tritt zwei bis vier Wochen nach der eigentlichen Infektion auf. Die Betroffenen zeigen dabei Symptome wie Fieber, Kreislaufprobleme, Bauchschmerzen, Hautauschläge oder Schleimhautentzündungen in Folge einer überschießenden Immunreaktion auf die COVID-19 Erkrankung. Das Auftreten ist selten, kann aber mit ernsthaften Folgeerkrankungen einhergehen. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologe e.V. (DGPI) erfasst bundesweit über ein Melderegister Erkrankungsfälle mit dem Syndrom. In der Zeit vom 27. Mai 2020 bis zum 12. September 2021 wurden der DGPI 417 Kinder und Jugendliche gemeldet. Im Klinikum Karlsruhe wurden seit Jahresanfang 5 Kinder mit einem PIMS behandelt. Das Alter der Betroffenen bewegte sich zwischen ein und sechs Jahren.
Von Seiten der Kinderklinik schließen wir uns der STIKO-Empfehlung für die Impfung ab 12 Jahren an. Höhere Impfquoten der Bevölkerungsgruppe ab 12 Jahren führen zu einem besseren Schutz der Bevölkerungsgruppe unter 12 Jahren.
Immunstatus der Patienten und Mitarbeitenden
Ziel ist trotz der schleppenden Impfkampagne nach wie vor das Erreichen einer Herdenimmunität, sodass ausreichend viele Menschen nach Impfung oder durchgemachter Infektion immunisiert sind, um die Ausbreitung des Erregers abzubremsen. Selbst wenn es bei Geimpften zu so genannten Impfdurchbrüchen kommen kann, sind schwere Krankheitsverläufe in dieser Gruppe deutlich seltener als bei Ungeimpften.
Die seit Mitte Juli im Klinikum mit einem positiven Corona-Befund aufgenommenen Patient*innen auf der Normalstation waren zu rund 90 Prozent nicht geimpft. Derzeit sind keine Patient*innen trotz einer Immunisierung (geimpft oder genesen) wegen COVID-19 auf Normalstation in Behandlung. Grundsätzlich beobachten wir, dass solche Personen, die trotz einer Impfung wegen COVID-19 aufgenommen wurden, eine Grunderkrankung hatten, die ihr Immunsystem enorm schwächt. Bei diesen Menschen fällt die Impfantwort oft nicht optimal aus.
Von den COVID-Intensivpatienten, die seit Mitte August behandelt wurden, war lediglich ein Patient geimpft. Dieser war asymptomatisch mit einem Schlaganfall eingeliefert worden. Das bedeutet, dass alle COVID-Intensivpatienten mit einem schweren Verlauf ungeimpft waren und bestätigt uns in der Annahme, dass wir es in der vierten Welle mit einer Pandemie der Ungeimpften zu tun haben. Die derzeit behandelten COVID-Intensivpatienten sind meist zwischen 40 und 70 Jahre alt und haben oft Vorerkrankungen wie Diabetes oder Übergewicht.
Aus ärztlicher Sicht empfehlen wir Ungeimpften, die Angebote zur Impfung – wenn immer möglich – wahrzunehmen. Darüber hinaus sollten die AHA+L Regeln nach wie vor fester Bestandteil unseres Alltags sein.
Die aktuelle Fassung der Corona-Verordnung Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen vom 24.08.2021 sieht vor, dass sich nicht-immunisiertes Personal arbeitstäglich einem Antigen-Schnelltest in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus unterziehen muss. Im Klinikum werden diese arbeitstäglichen Tests voraussichtlich ab Ende der kommenden Woche durchgeführt. Dies dient dem Schutz der Patient*innen und Kolleg*innen vor einer SARS-CoV-2-Infektion.
Aktuelle Personalsituation
Derzeit sind 6 Mitarbeitende im Klinikum Karlsruhe positiv auf SARS-CoV-2 getestet und unterliegen einem durch das Gesundheitsamt erteilten Beschäftigungsverbot.
Im Bereich des Pflege- und Funktionsdienstes fallen aktuell 128 Mitarbeitende durch Krankheit, Quarantäne oder Beschäftigungsverbot aus. Davon befinden sich 29 Mitarbeitende in Quarantäne oder im Beschäftigungsverbot.