Rund 77.000 Menschen in Deutschland erhalten jedes Jahr einen Herzschrittmacher. Die Mehrzahl davon konnte bislang nur mit einem konventionellen System versorgt werden, bei dem Elektroden von außen ins Herz führen. Jetzt haben die Kardiologen am Städtischen Klinikum Karlsruhe zum ersten Mal in Baden-Württemberg einen sondenlosen Zweikammer-Herzschrittmacher minimalinvasiv direkt ins Herz implantiert. Der Micra™-AV, der von der Größe her mit einer Vitamintablette vergleichbar ist, sorgt bei Patienten mit verlangsamtem Herzschlag für Synchronität zwischen Vorhof und Herzkammer.
„Wir können damit Patienten, bei denen die Erregungsleitung zwischen Vorhof und Herzkammer am so genannten Atrioventrikularknoten (AV-Knoten) gestört, gleichzeitig aber der Sinusrhythmus erhalten ist, erstmals einen Schrittmacher anbieten, der komplett im Herzen arbeitet und damit unsichtbar ist“, erklärt Dr. Matthias Merkel, Leitender Oberarzt der Medizinischen Klinik IV am Klinikum Karlsruhe. Das System, das mittels Katheter über die Leistenvene ins Herz gelangt, ist 93 Prozent kleiner als ein herkömmlicher Schrittmacher und wiegt lediglich 2 Gramm.
Das Implantat gibt elektrische Impulse ab, die das Herz stimulieren. Ein integrierter Sensor misst dabei kontinuierlich die Herzaktivität und -taktung. „Die Batterien laufen in der Regel 8 bis 13 Jahre, dann ersetzen wir das System“, ergänzt Merkel. „Bis dahin haben die Patienten deutlich weniger Aktivitätseinschränkungen, weil es dank des minimalinvasiven Eingriffs keine Operationsnarbe gibt, keine chirurgische Tasche unter der Haut erstellt werden muss und keine Elektroden ins Herz führen.“
Die Sonden, die beim konventionellen System die Impulse ins Herz führen, werden mit dem Herzschlag etwa 100.000 Mal pro Tag bewegt und haben daher eine begrenzte Haltbarkeit: Es droht nach Jahren ein Elektrodenbruch oder die Kontraktverschlechterung im Herzen. Das neue System macht Elektroden komplett überflüssig.
„Der Einsatz des Micra AV ist ein großer Fortschritt in der medizinischen Versorgung von Schrittmacherpatienten“, sagt Prof. Claus Schmitt, Direktor der Medizinischen Klinik IV. „Das kathetergestützte Verfahren, das wir 2015 bereits als erste Klinik in Baden-Württemberg für sondenlose Einkammer-Schrittmacher eingesetzt haben, ist sehr sicher und es kommt sehr selten zu Infektionen. Aus bisherigen Erfahrung mit dem implantierbaren Einkammergerät lässt sich die Komplikationsrate etwa halbieren.“ Das System erhielt im März 2020 die CE‐Zulassung für Europa und somit auch für Deutschland.