Der Bundesverband der Deutschen Multiple Sklerose-Gesellschaft (DMSG) hat die Neurologische Klinik des Städtischen Klinikums Karlsruhe im Oktober dieses Jahres als MS-Zentrum zertifiziert. Dieses DMSG-Zertifikat bescheinigt „eine qualitativ hochwertige, von Leitlinien gestützte akute und rehabilitative Behandlung durch auf MS spezialisierte Neurologen und andere MS-Fachkräfte“, wie es in den Leitlinien der DMSG heißt. Das Zertifikat, das es seit 2005 gibt, soll den Patienten, die an der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose leiden, eine unabhängige, verlässliche Orientierung bieten und den Weg zu einer fachgerechten Versorgung weisen. „Erklärtes Ziel ist es, die Qualitätsstandards für die adäquate Versorgung MS-Erkrankter kontinuierlich weiterzuentwickeln und viele Einrichtungen zur Umsetzung dieser Standards anzuhalten“, erklärt Prof. Dr. Peter Flachenecker, Mitglied des Vorstands des Ärztlichen Beirats des DMSG-Bundesverbands. Bisher wurden bundesweit rund 175 Einrichtungen zertifiziert.
Götz Zipser, Geschäftsführer der AMSEL, Aktion Multiple Sklerose Erkrankter, Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg e.V., freute sich sehr über die Zertifizierung der Klinik und ergänzte: „AMSEL versteht sich als Interessenvertretung der MS-Kranken bei uns in Baden-Württemberg. Wir möchten für alle Erkrankten, gleich in welcher Lebens- und Krankheitsphase sie sind, und gerade auch bei der medizinischen Betreuung optimale Rahmenbedingungen für ein weitgehend selbstbestimmtes Leben schaffen. Dazu gehört für uns in wesentlichem Maße, dass MS-Erkrankte ihrem speziellen und anspruchsvollen Krankheitsbild entsprechend medizinisch gut versorgt werden. Dafür steht nun auch die Neurologische Klinik des Städtischen Klinikums Karlsruhe.“
„Um als MS-Zentrum zertifiziert werden zu können, mussten wir nachweisen, dass in unserer Klinik über einen Mindestzeitraum von fünf Jahren eine große Zahl an MS-Patienten kontinuierlich von erfahrenen Fachärzten betreut wurde“, erläutert Dr. Aline Metz, Oberärztin an der Neurologischen Klinik. Die Fachärztin für Neurologie, neurologische Intensiv- und Notfallmedizin, betreute innerhalb der Klinik die Zertifizierung. Auch das Pflegepersonal muss Erfahrungen im Umgang mit MS-Patienten nachweisen. Gleiches gilt für Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und Logopäden, die ebenfalls in die Behandlung der Patienten eingebunden sind. In der Neurologischen Klinik werden pro Jahr etwa 160 MS-Erkrankte stationär und ambulant behandelt.
„Wir müssen zudem gewährleisten, dass die gesamte Diagnostik am MS-Zentrum erfolgen kann“, so Metz. Dazu zählt zum Beispiel die Nervenwasseruntersuchung, bei der mithilfe einer Lumbalpunktion Nervenwasser (Liquor) aus dem Wirbelkanal entnommen wird. Bei MS-Erkrankten sind die Immunzellen oft vermehrt und die Anzahl bestimmter Antikörper ist erhöht. „Das Labor, welches die Untersuchung vornimmt, muss ebenfalls zertifiziert sein“, erklärt Metz. Eine weitere wichtige Untersuchungsmethode ist die sogenannte Elektrophysiologische Untersuchung, bei der die Nervenleitgeschwindigkeit gemessen wird. Ein wichtiger Baustein, um die Zertifizierung zu erlangen, ist das Vorhandensein einer Neuroradiologie, um MRT-Aufnahmen vor Ort vornehmen und auswerten zu können.
„Ein zertifiziertes MS-Zentrum bietet den Patienten viele Vorteile“, ist Metz überzeugt. „Die geforderte standardisierte Befunderhebung und die leitliniengestützten Behandlungskonzepte kommen den Patienten zugute“, erklärt sie und fügt hinzu, dass die Diagnose nicht leicht zu stellen sei. Intensive Gespräche mit dem Patienten, und ausführliche Untersuchungen seien dafür nötig. Bei der Behandlung setzt man auf Medikamente und auf die physikalische Therapie, wie zum Beispiel die Krankengymnastik. Bei der sogenannten „Immunmodulatorischen Stufentherapie“ etwa greift man mithilfe von Medikamenten in das Immunsystem ein. Man sorgt dafür, dass keine akuten entzündlichen Ereignisse auf-treten, das heißt, Schübe sollen damit verhindert werden.
„In den vergangenen Jahren hat sich auf dem Medikamentenmarkt viel getan“, erklärt Prof. Dr. Georg Gahn, Klinikdirektor der Neurologischen Klinik. So können zum Beispiel heute Medikamente in Tablettenform eingenommen werden, die früher gespritzt werden mussten. Manche Medikamente, wie etwa die bekannten Interferone, müssen in ihrer neuen Form nur noch alle zwei Wochen gespritzt werden. „Man kann im Falle eines akuten Schubs inzwischen auch schneller auf hochaktive Medikamente wechseln“, so der Klinikchef. Geändert habe sich auch der Behandlungszeitpunkt: Auch wenn Schübe nicht schwer verlaufen, greift man sehr früh ein, um Entzündungserscheinungen zu behandeln. Bei besonders schweren Schüben besteht zudem die Möglichkeit, einen Blutaustausch, eine so-genannte Plasmapharese, vorzunehmen. „Wir sind in unserer Klinik auch darauf eingerichtet“, so Gahn.
Aber nicht nur für die Patienten, die unter Schüben leiden, gibt es Fortschritte: Auch für die progrediente Form der MS – in diesen Fällen verschlechtert sich der Zustand der Patienten langsam – sind neue Medikamente kurz vor der Zulassung. „Bisher gab es für diese Fälle kaum Therapiemöglichkeiten, aber mit den zu erwartenden Medikamenten wurden in Studien bereits gute Erfolge erzielt – zumindest bei sehr jungen Patienten“, sagt Metz.
Schätzungen zufolge leben in Deutschland mehr als 210 000 MS-Erkrankte. Um verlässliche Daten über die Häufigkeit der Erkrankung zu bekommen, initiierte die DMSG im Jahr 2001 den Aufbau eines MS-Registers. Alle zertifizierten MS-Einrichtungen können seither Daten an dieses Register weiterleiten, sofern die betroffenen Patienten zustimmen. Es werden nur zertifizierte MS-Einrichtungen berücksichtigt, um die Qualität der gelieferten Daten gewährleisten zu können.